Die klugen orphischen Dichter und andere Künstler dieser vorchristlichen Zeit schalteten zwischen menschliche Hybris und dem darauffolgenden Erscheinen von Nemesis klugerweise die Katharsis, eine durchweg besinnliche Zwischenstation, in der das eigene Fehlverhalten reflektiert und auch korrigiert werden konnte und sollte. Eine nicht nur pädagogische Einrichtung, sie war auch für adulte Delinquenten geeignet und für gescheiterte Helden bestimmt, die ihr Scheitern nun ursächlich auf persönliches Fehlverhalten untersuchen und eventuell zurückführen und eine Lehre daraus gewinnen konnten.

Bestenfalls. In der Regel geschah diese Reinigung in der Antike vor Publikum, wo der hybride Held der Tragödie letztlich mit seinem Unterfangen scheiterte und das Publikum, nein, nicht beschimpft wurde, wie bei Handke, sondern aufgerufen war, gedanklich dem Helden bei seiner Katharsis zu folgen, diese nachzuvollziehen, zwecks ethisch-moralischer Erbauung. In einer Kultur der, oder in Gesellschaften der Singularitäten* ist Hybris eine wohlgelittene, individuelle Eigenschaft, die bagatellisiert und augenzwinkernd zum Werkzeugkasten derer gehört, die sich rücksichtslos das ihnen scheinbar Gebührende (Nemesis) verschaffen. Die hieraus enstehende Krise des Allgemeinen** folgt bei Fuße und ist aller Orten zu erfahren. Legal, illegal, scheißegal ist oftmals die Devise.
*Andreas Reckwitz: Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne. 5. Auflage. Suhrkamp, Berlin 2018. ** ebenda